Archiv der Kategorie: Texte

Stipendium Textentwicklung „Weil du mir gehörst“.

Zwei Beispielexte für die Behandlung des dokumentarischen Textmaterial und dessen „Verdichtung“:

In der 1. Beispiel-Zusammenstellung sind diverse Aussagen/ Geständnisse des Winfried R.zur Tat in Wien und seinem Vorleben in Paderborn "umgeschnitten" worden. 

FALSCHE VORWÜRFE

( 3 Männer, wie im Gespräch untereinander, oder auch zum Publikum als auch untereinander, die Frauen stehen an verschiedenen Positionen, nehmen wahr, aber reagieren nicht)


MANN 1: All diese Vorwürfe, mich betreffend, treffen an keiner Stelle zu. Ich habe ja 20 Jahre ohne Makel gelebt. Wenn ich so abwegig, so krank wäre, müsste dort ja auch etwas vorgefallen sein. Nicht im Ansatz waren Messer im Spiel oder eine Bedrohung. Meine Frau könnte nichts anderes sagen.


MANN 2: Sie hat sich nicht um Kinder gekümmert. Dieser, Vorfall dieser angebliche: Sie ist so erschrocken und vom Balkon gefallen. Bedrohung mit Messer ist nicht zutreffend. Sie wusste, daß ich Messer besaß, als Zimmerschmuck. Sicher bin ich vielleicht verzweifelt gewesen. Es gab eine Besänftigung durch meinen Bruder.


MANN 3: Messer nicht gegen sie verwendet ….Habe Suizidversuch mit Barbituraten unternommen.


MANN 2: Keine Aussage, bis auf Nebensächlichkeiten trifft zu, zu keinem Zeitpunkt. So absurde Lügen. Als sie zum ersten Mal aufgetaucht sind, hätte ich sie leicht anzeigen können. Das hat nicht zugetroffen.


MANN 1: Hatte Vorfall gegeben, bei dem ich mich im Haus aufgehalten hatte und ihr Vorhaltungen gemacht hatte, sie sie sei keine fürsorgliche Mutter. Die Kindersachen schmutzig, der Haushalt… Sie ist in der Tat auf den Balkon und gesprungen und zur Nachbarin gegangen.


MANN 3: Ich wollte weder mit ihr schimpfen noch sonst etwas. Das war ein Unfall.


MANN 2: Sie wußte, daß ich Messer sammle. In den Urlauben Finnenmesser, in Kroatien Messer. Damit habe ich nichts gemacht, geschweige denn jemanden bedroht.Das ist eine unglaubliche Schilderung, die hätte ich ja kennen müssen. Meine Schilderungen sind wirklich war.


CUT

MANN 1: Ich kann es nicht erinnern, nur weiß ich, ich war zu tiefst verletzt, zu tiefst verzweifelt, kann mich erinnern von Mozart ein bestimmtes Stück gehört zu haben. Das hat dazu geführt, daß ich ein einziges Mal vielleicht ausgerastet bin.


CUT


MANN 1: Sie ist oft nicht nach Hause gekommen, hat auf Fragen ausweichend geantwortet. Diese Situation habe ich nicht verkraftet, habe im Zuge des Ausnahmezustandes Wutanfall gehabt.
MANN 2: Wurde verhaftet, habe Job verloren. Ein halbes Jahr später aufgrund Gutachten entlassen. Gelöbnis ihr sich nicht zu nähren.


CUT


( Männer vereinzelt, mit Pausen, alle verteilt im Raum, in Bewegung, eventuell chorografische Kontakt mit einzelnen Frauen. )


MANN 2: Insbesondere konnte ich erkennen, daß ihr Verhalten nur von Haß gegen meine Person geleitet wurde. Ich war durch diese Erkenntnis so schockiert, daß ich vorerst keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ich und sie wußten, daß ihre, bei Gericht beigebrachten Anschuldigungen zum Teil zu Unrecht bestehen und sie ihren unrechten Weg, den sie gegen mich eingeschlagen hatte, weiterverfolgen muß.


MANN 3: Deswegen mußte sie mich immer aufs Neue belasten und neue Anschuldigungen vorbringen.


MANN 1: Zu diesem Zeitpunkt war mir klar, dass mich Diana und ihre Mutter, die ebenfalls ihren Haß gegen mich versprühte, psychisch vernichten wollten.


MANN 2: Ich kam zu dem Schluß, wenn mir Diana und ihre Mutter jede weitere Zukunft verbauen wollen, daß ich da reagieren müsse.


MANN 1: Ich habe in Gedanken erwogen, Diana umzubringen, um von ihrem Haß befreit zu werden.


MANN 3: Als Tatwaffe sah ich in Gedanken eine Pistole vor mir und stellte mir das Bild vor, wie ich sie erschießen werde.


MANN 2: Von diesem Moment an, zog ich konkret in Erwägung, daß ich sie umbringen werde.


MANN 3: Und ich habe damit begonnen alle Vorbereitungen zu treffen,


MANN 1: damit ich dieses folglich einmal realisieren kann.


MANN 2: Ich machte mir Gedanken wie ich mir eine Waffe beschaffen könnte.


CUT

( rascheres Tempo, die Männer eng zusammen )
MANN 3: Generell ist zu sagen, daß ich Dianas Liebe wollte, nicht ihren Tod.


MANN 2: Ich habe kein Vermögen mehr, ich habe meinen ganzen Verdienst und mein Vermögen in Diana investiert.


MANN 1: Generell ist auch zu sagen, daß ich während der letzten beiden Wochen, insbesondere vor der Tat den Wunsch verspürte, Diana zu töten.


MANN 2: Ich diesen Wunsch aber stets nicht bewußt werden ließ.


MANN 3: Der Wunsch,begleitet von der Vision der Tat, daß ich Diana also mit einer Pistole niederstrecken würde, erschien mir als Befreiungsakt.


MANN 2: Eine seltsame Vorfreude erfasste mich, ein Gefühl, daß ich alsbald von einer mich erdrückenden Last befreit sein würde.


MANN 1: Melodien von Schlagern hörte ich innerlich.


CUT


(Männer bewegen sich in ein Off, schleichen sich heraus, sind dann noch über Mikro leise vernehmbar)


MANN 1: Ich weiß undeutlich, daß ich auf Diana geschossen habe, sehe ein verwaschenes Bild, wie sie auf dem Bürgersteig liegt, erkenne dabei aber nicht die geringste Verletzung oder gar Einschüsse. Einzelne Bilder kann ich lediglich vergegenwärtigen, wovon eines ist, daß ich den mir zu dem Zeitpunkt seltsam klingenden Knall der Pistole höre, allerdings nicht in einer Vielzahl…


MANN 3: ….so daß ich nicht weiß, wie oft ich gefeuert habe. Ich weiß nicht, wo ich örtlich die Schüsse auf Dianah abgegeben habe.


MANN 1: Diesen Mann zu verletzen war keine in irgendeiner Form geplante oder beabsichtigte Handlung. Ich wußte nicht, daß dieser Mann ein Kriminalbeamter war, wie mir später mitgeteilt wurde. Ich bedaure sehr,  jemanden verletzt zu haben, der sich in diese Angelegenheit einmischte, mit der Absicht zu helfen und Unheil zu verhüten.


MANN 2: Hatte Pistole eingesteckt. Hatte sie gesehen, bin auf sie zugelaufen, habe sie erschossen. Habe nicht wahrgenommen, sie war in Begleitung ihres Sohnes. Habe Diana leider tötlich getroffen. einen Polizeibeamten verletzt mit Messer.
( Zwei der Frauen fallen plötzlich zu Boden, sacken zusammen, ohne die Situation einer Tat nachzuspielen)
MANN 3: Ich habe am Freitag gegen 17.oo Uhr, meine frühere Lebensgefährtin Konstanina vor ihrem Wohnhaus in Wien, nachdem ich dort auf sie gelauert hatte, ·mit meiner Pistole, Marke FN, Kaliber 7,65 mm, erschossen.


MANN 2: Im Vordergrund meiner Tat stand Rache. Sie hat mich angezeigt und deswegen war ich eingesperrt. Sie hat auch meine Persönlichkeit zerstört.


MANN 1: Den Mann, der mich hindern und halten wollte, habe ich angeschossen und beim Handgemenge mit meinem Messer niedergestochen. Dieses Messer wurde mir bei meiner Verhaftung abgenommen.


CUT/ MUSIK/ BLENDE

Die 2. Beispiel-Zusammenstellung nimmt Bezug die Verhandlung, die 1985 in Wien stattfand, nachdem Winfried R. Konstantina Ulitsch auf offener Strasse erschossen hatte. 

ES WAR LIEBE

(…)

Stimme ( Verteidiger ) – Eine Beziehungstat. Sie hat ihn provoziert.
Stimme (Staatsanwalt ) – Ich beantrage Schuldspruch und schuldangemessene Strafe.
Stimme ( Verteidiger ) -Ich bitte um ein mildes Urteil.
Stimme (Angeklagter) – Ich schließe mich den Ausführungen meines Verteidigers an.

CUT

Stimme ( Geschworene) -Hat Winfried Ratajczak am l0. 2. 1984 in Wien sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Konstantina Ulitsch durch Abgabe von vier Schüsse zu töten?
Stimme ( Geschworene) – Eventualfrage entfällt.
Stimme ( Geschworene) – Bei der Strafbemessung ist mildernd: Stimme ( Geschworene) – das Geständnis des Angeklagten hinsichtlich des unerlaubten Waffenbeszitzes-
Stimme ( Geschworene) – sowie eine gewisse durch psychopathische und neurotische Züge geprägte Persönlichkeit des Angeklagten.
Stimme ( Geschworene) – Erschwerdend das Zusarnmentreffen eines Verbrechens und dreier Vergehen,
Stimme ( Geschworene) – die Begehung der Tat entgegen dem, dem Angeklagten auferlegten Verbot, Konstantina Ulitsch zu kontaktieren
Stimme ( Geschworene) – sowie die aus dem Tatablauf hervorgehende Massivität der Tat.
Stimme ( Geschworene) – Der Abgabe eines Kopfschusses aus maximal 10 cm Entfernung,
Stimme ( Geschworene) – die langfristige Überlegung der Tat.
Stimmen ( Geschworene) – Verbrechen des Mordes, Vergehen der schweren Körperverletzung, Vergehen des unerlaubten Waffenbesitzes

CUT

Stimme ( Kommentator) – Anwalt und Angeklagter flüstern intensiv.

CUT

Stimme ( Verteidiger)- Meine Damen und Herren, wie auch immer sie urteilen werden, ob auf Mord oder Totschlag, bedenken Sie, er hat den Menschen getötet, den er am meisten geliebt hat!


CUT
Stimme (Richter) – Hat Winfried Ratajczak am 10.2. 1984 in Wien, Konstantina Ulitsch durch Abgabe von 4 Schüssen vorsätzlich getötet?
Stimme ( Kommentator) – Sechs Geschworene stimmen mit Ja. Zwei Geschworene sind nicht überzeugt von einer Tötungsabsicht und stimmen mit nein.

CUT
(Klingel, Stille)

Stimme (Richter) – Winfried Ratajczak ist schuldig. Das Urteil ergeht auf 20 Jahre
Stimme ( Kommentator)- Auch ein Lebenslänglich wäre möglich gewesen?
Stimme (Richter) – Letzlich ist die verhängte Freiheitsstrafe schuldangepaßt und entspricht diese auch spezial sowie generalpräventiven Anforderungen.

CUT

Stimme ( Verteidiger)- Was man manchmal vor Gericht sagen muss.

CUT / BLENDE/MUSIK

(…)