Nachträge zum Projekt: „Mit der Zeit werden wir fertig“ (2011)

 

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Nach wie vor aktuell ist die Situation, die unsere Generation garade in die Rolle der Pflegenden unserer Eltern bringt. Wie kommt man in zunehmend losen sozialen Zusammenhängen damit klar?

Wie kommen die Alten und Alt-werdenden damit klar, daß sie zunehmend nur noch verwaltet werden, daß auf 20 Senioren, zwei Pfleger kommen, wenn sie nicht zuhause von oft überforderten Angehörigen gepflegt werden können

Von vielen Seiten hört man ähnliches:  wird man nach polnischen Pflegerinnen gefragt und nach den Erfahrungen in Krankenhäusern mit speziellen geriatrischen Abteilungen. Manche unserer Eltern sind schon bei Pflegestufe 3 angekommen, bei anderen machen sich erste demenzielle Veränderungen bemerkbar usw.#

Wie wird es uns, unseren Kindern gehen, wenn keine neuen gesellschaftlichen Modelle und Alternativen entwickelt werden?

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Untenstehend einige Zitate, aus denen wir ein paar in unserer Produktion verwendet haben.

Zitate aus einem Artikel in der ZEIT  „Damit  die Würde bleibt“                                           (12. Mai  2011  Autor : Thomas Vasek)

 

An  schlechten  Tagen  , erzählt  er ,  steige  die  Angst in ihm hoch . Dann  kommt  es vor , daß wieder etwas abbröckelt , dass ihm Namen , Orte und Begriffe velorengehen .
Er sucht  die Schlüssel , das Handy , das Portemonnaie ; lässt  die  Einkaufstüte im Supermarkt  liegen
oder bringt die  falschen Dinge  nach Hause .An guten Tagen malt er , geht mit Freunden spazieren
– oder berichtet anderen von seiner Situation .

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So  hatte  eine  scheinbar völlig apatische Heimbewohnerin  zeitlebens ihren  Beruf  als  Schreibkraft geliebt .
Als ihr die Forscher eine alte Schreibmaschine und Papier gaben, fing die Frau nach  kurzer Zeit an zu tippen,
bis am Ende alle Blätter vollgeschrieben  waren . Auf dem Papier  stand zwar  nur Buchstabensalat .
Doch als  die  Frau das letzte Blatt  ausgespannt hatte, atmete  sie tief ein,
strahlte plötzlich  über das ganze Gesicht und sagte nur : “ Da hast du aber was weggeschafft .“

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Ich  reiche  Herrn  Gabler  und seinem Tischnachbarn  gleichzeitig das Essen an .
Herr Gabler  hat einen Meisterbrief als Glaser im Zimmer hängen .
Als er vor fünf Jahren ins  damals neu eröffnete Haus im Park kam, war er noch ein flotter Tänzer .
Dann  mussten ihm infolge einer Diabeteserkrankung beide Beine amputiert werden .
Heute wirkt er auf den flüchtigen Betrachter wie ein auf den Stoffwechsel reduzierter Körperrest .
Nähere ich mich ihm mit einem Löffel, reißt er den Mund auf und verschluckt unterschiedslos
große Mengen an Nahrung . Nach dem Desert scheint er – mit weit offenem Mund-  zu schlafen .
Sacht und etwas verlegen drücke ich seine Schultern .
Da reißt er die Augen auf und schaut mich so – ja : privat – an, daß mir die Tränen kommen .

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Seit fünf  Jahren redet Herr Barnstedt nicht  mehr . Doch an seinem 90. Geburtstag drehte er sich
ohne erkennbaren Auslöser zu seiner Frau und  sagte :“ Hallo, was machtst  du denn hier? “
Seitdem hat er bloß hin und wieder “ schöne wache Augen“, sagt seine Frau .

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Die notorisch hungrige Frau Rundersdorf hat da überall am Kuchen genascht ;
die winzige  Frau Erlenbruch windet sich in unbeobachteten Momenten die Girlande  um den Kopf .

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Frau Vogel wird  als  Letzte in ihrem Rollstuhl hereingefahren .                                        Sie  ist  deutlich noch kein Fall  für  die Palliativ-versorgung . Sie beobachtet  und spricht. Gegenüber allen, die ihr näher kommen, ob  beim Ankleiden,beim Blutzuckermessen
oder beim Essen- anreichen, ist  sie grundsätzlich ausgesprochen biestig . Sie schlägt und spuckt .
„Sie haben  heute  Geburtstag Frau Vogel!“
-„Das ist mir  doch egal, du Arsch !“
Das anwesende Personal singt, was in dieser Situation durchaus verrückt klingt :        „Zum Geburtstag viel Glück!“

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Generell  versucht man, das Gewicht von Demenzkranken  auch in einem späten Stadium auf dem gleichen  Niveau zu halten.
Kann Gewichtsverlust nicht verhindert werden, wird meist, falls  keine Patientenverfügung das ausschließt, eine  Magensonde eingesetzt.
Das schreckliche Wort vom Verhungern reicht fast immer, jede ethische Diskussion zu beenden .
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Zukünftig wird  es  immer mehr Demenzkranke geben. Das liegt nicht daran, dass die Krankheit sich wie eine Infektion  ausbreitet .
Der Anstieg ist  schlicht die Folge unserer Wohlstandsgesellschaft, die uns ein längeres  Leben  beschert.
Die Wahrscheinlichkeit an einer Form der Demenz zu erkranken, steigt mit fortschreitendem Alter.

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(….)Traditionell sind  unsere Konzepte  von Autonomie und Personalität eng geknüpft an  das Vernunftsvermögen .
Nach Kant ist es  die Vernunftsfähigkeit, die Menschen von  den Tieren unterscheidet- und letztlich ihre Würde begründet( …..)

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Zitate  aus  Arno  Geigers  Buch :  Der  alte  König  in  seinem  Exil .

….Diese  Toten  dürften  jahrelang im  Dunkeln  weitergflüstert  haben, Tote, die flüstern, tun es  eindringlich  und  eigensinnig .
Würde  abgestimmt, was  schöner ist, tot  oder  lebendig, würden die Toten, die in  der Mahrheit  sind  für  den Tod votieren .

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….gab es  immer öfter Tage , an  deren Ende alle  reif  für  die Zwangsjacke  waren .

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In  einem Klima  des  Unberechenbaren  war die Spannung teilweise kaum zum  Aushalten( ….)  , die  verfahrenen Beziehungen zwischen dem Vater und  einzelnen  seiner
Betreuerinnen lieferten  der  Krankheit zusätzliche  Nahrung . Die  Betreuenden  stießen rasch  an ihre Belastungsgrenzen, das wirkte  sich  negativ auf  den Vater  aus.
Die Abwärtsspirale  drehte  sich. Das ging  schon in  der Früh los, man konnte ihm  nichts recht machen, das erste, was  der Vater sagte, war  von  der Art :
„Wenn  du wüßtest,  wie  ich hier mißhandelt werde .“

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Seit  einiger  Zeit konnte  er  den  Fernseher nicht  mehr  als  eigene  Realität erkennen . Er fragte, wie  es  sein könne, dass dort, wo er hinschaute, das eine Mal ein ihm unbekanntes Zimmer zu sehen war und im nächsten Moment  ein Auto .
„Wie kommt jetzt das Auto hier herein?“

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-Papa, was war die glücklichste Zeit in deinem Leben?
-Als  die  Kinder klein waren
-Du und  deine  Geschwister ?
-Nein , meine  Kinder .

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– Weißt  du, ich bin  auch schon ein älterer Knabe. Dagegen bist du ein junger Hupfer.
– Wo du recht hast , hast  du recht .
– Da ist einiges an mir alt  geworden
-Aber so alt man wird, man lernt immer noch etwas  dazu.
– Ich  nicht, leider . Bei mir ist nichts mehr drin. Und ich wäre sehr froh, wenn ich bald-bald-bald- hier nicht mehr einspringen müsste. Ich würde lieber ein Stückchen  gehen und nichts tun.
– Du darfst nichts tun soviel du willst .
– Wenn  du wüsstest . Ständig muß ich Sachen zusammenwinkeln.
Aber ich will  bald  damit aufhören.